Erben verzweifelt gesucht!

Wie Nachlass-Ermittler vorgehen

Von CHRISTINE WALDHAUSER-KÜNLEN

Was wie ein Märchen klingt, wird für einige wenige Menschen Wirklichkeit: Da bekommen sie einen Brief von einem gewissen Dr. Gerhard Moser, in dem ihnen in dürren Worten mitgeteilt wird, soeben ein hübsches Sümmchen geerbt zu haben!

Da heißt es erst einmal Luft holen, hinsetzen, ungläubig staunen und sich fragen: Wieso, weshalb, warum? Doch diese unglaublichen Geschichten werden geschrieben von Verwandten, von denen man nichts wusste. Blöd nur, dass man sich mit keinem Wort mehr bei seinem Gönner bedanken kann: Schließlich „überbringt“ Dr. Moser das Erbe eines verstorbenen Angehörigen. Sein Beruf: Erbenermittler. Oder darf man ihn als Detektiv bezeichnen?

Ab 30 000 Euro ist der Profi interessiert

Ist Dr. Mosers Spürsinn erwacht, verlässt er in aller Eile seinen Schreibtisch in Baden-Baden, um in Ferne Länder und oftmals weit zurück in die Vergangenheit zu reisen. In der Regel solange, bis er die gesuchte Person gefunden hat, die in den Genuss jenes hübschen Sümmchens kommen soll… Nicht ganz uneigennützig, erhält der Er- und Übermittler der Frohbotschaft doch bei erfolgreicher Suche eine Provision zwischen 15 und 25 Prozent bei inländischen und 30 Prozent bei Auslandsberührungen. „Mehr von der Erbsumme zu fordern, ist unseriös“, fügt er hinzu, „ebenso das Verlangen von Vorkasse“.

Grundsätzlich startet ein Ermittler die Suche nach dem Erben erst einmal auf eigene Faust, Rechnung und wirtschaftliches Risiko. Dazwischen liegen oft ermüdende Briefwechsel, das Stöbern in staubigen Archiven und unzählige Telefonate. Laut juristischer Definition bezeichnet man als Erbenermittlung „die Suche nach und die Dokumentation von nächsten Verwandten eines Erblassers, die in der Regel aufgrund gesetzlicher Erbfolge als Erben des Verstorbenen in Frage kommen“, wie Anton Steiner erklärt. „Nach Paragraph 1960 BGB obliegt die Ermittlungspflicht dem Nach- lassgericht oder dem vom Gericht eingesetzten Nachlasspfleger“, ergänzt der Fachanwalt für Erbrecht aus München. Erscheint jener Behörde die Suche nach einem Erben zu zeit- oder personalaufwändig, beauftragt sie Moser oder Kollegen. Manchmal stoßen Ermittler im Bundes- oder Staatsanzeiger auf eine Öffentliche Aufforderung, die ihnen lukrativ scheint. Gelegentlich kommen auch Verwandte auf sie zu oder Banken, die den Tipp auf „herrenloses“ Vermögen geben.

Es taucht immer irgendwo ein Erbe auf, und wenn erst in der vierten oder fünften Generation“, weiß Steiner. Sollte sich wirklich einmal keiner finden, freut sich Vater Staat. „Nur etwa 21 Prozent der Fälle werden über Testamente abgewickelt, der ,Rest’ unterliegt der gesetzlichen Erbfolge, was eben dann oft schwierige Ermittlungen auslöst“, ergänzt Moser. Doch erst ab rund 30 000 Euro rentiert es sich für die Profis. Sie starten ihre Suche meist nur mit dem Wissen vom Namen des Erblassers sowie der Höhe der Erbschaft. Das sind erste Puzzlestücke, zu denen hunderte von Teilchen aufgefunden werden müssen. Wie das geschieht, ist Sache des Er- benermittlers – seine Arbeit ist weder in Deutschland noch im Ausland ein Ausbildungsberuf. Wichtig sind das Wissen um historische Zusammenhänge, Kenntnisse über Genealogie oder über nationales und inter- nationales Erbrecht. Auch ohne ein Korrespondentennetz auf allen Kontinenten und guten Kontakten zu Archiven und Behörden im Ausland steckt der Fachmann fest. Für seine Recherchen muss Moser manchmal nur ein paar Zimmer weiter das hauseigene Archiv mit Landkarten, Ortschroniken, Telefonbüchern von 1960, Adressbüchern ab 1850 oder Schiffs- und Emigrantenregister aufsuchen. Vielfach stammt das Material noch von seinem Großvater, der 1900 das Unternehmen gegründet hat, oder es wurde im Laufe der Jahrzehnte antiquarisch zusammengetragen. Datenschutz erschwert die Nachforschungen.

Doch wie sieht so ein Fall für den Fachmann aus? Da sind beispielsweise 150 000 Euro zu vergeben. Nach dreijähriger Suche landet das Geld schließlich auf dem Konto einer von einer Kleinstrente lebenden alten Dame, hinterlassen von der Schwester, die kein Testament gemacht hatte. Verzweifelt hatten sie sich gegenseitig gesucht, doch wurde ihnen von den Standesämtern aus Datenschutzgründen die Auskunft über den Wohnort der jeweils anderen verweigert…

Von einem Berliner Nachlasspfleger bekam Moser den Auftrag, in den neuen Bundesländern nach Erben eines Hauses zu suchen. Er wurde fündig: Sie lebten bereits in just jenem Anwesen, hatten jedoch über die Jahre hinweg brav ihre Miete an die kommunale Wohnungsbaugesellschaft bezahlt. „Die Enkel wussten zwar, dass es das frühere Haus der Oma war, doch dachten sie, durch die Kommunisten enteignet worden zu sein“, schildert er. „Eigentlich hätten diese Ämter doch auch die Aufgabe, die so wichtige Tatsache nach der Wende von sich aus mitzuteilen“, ärgert er sich. „Bedauerlicherweise verhindert der Datenschutz im Personenstandswesen Einblick in Aufgebotsunterlagen oder auch Sterbefallsmitteilungen, um zu erkennen, wer vor 20 oder 30 Jahren den Tod einer Tante anzeigte, deren Kinder ebenfalls als Miterben in die Erbengemeinschaft aufgenommen werden müssten“, kritisiert Moser weiter. Ohne lückenlose Dokumentation für das Nachlassgericht gibt es übrigens keinen müden Euro: Jede Geburts- oder Sterbeurkunde, jedes Dokument muss, egal aus welcher Sprache, übersetzt und beglaubigt sein.

Millionen vom Ur-Ur-Großonkel

So auch unzählige, in Sütterlin- Schrift verfasste Briefe und Papiere, die folgende Biografie nacherzählen. Weil eine in Bayern lebende Mutter einen unehelichen Sohn auf die Welt gebracht hatte, war sie nach Amerika ausgewandert. Dieser machte später als Börsenmakler Karriere und hinterließ zwar kein Testament, jedoch ein Millionenvermögen. Bis 1880 verfolgte Moser die mütterliche Linie zurück. Ohne Erfolg. Dann widmete er sich dem unbekannten Vater, dessen Name in der Geburtsurkunde verschwiegen worden war. Moser fand ihn im Beichtregister des Dörfls, in dem der Bub getauft worden war. Ohne diesen Vermerk wären die Verwandten nie an das Vermögen des unbekannten Ur-Ur-Groß- onkels gekommen. Ebenso wären sie leer ausgegangen, hätte Moser nicht lückenlos den Stammbaum dokumentieren können. Nur dieser berechtigt die Erben zur Erlangung des Erbscheines, sprich zum Erbe.

Die Arbeit geht den rund 20 in Deutschland tätigen Erbenermittlern wohl nicht aus. Waren es im letzten Jahrhundert Kriege, Vertreibungen und Auswanderungswellen sowie die Teilung Deutschlands, sind es heute die vielen Single-Haushalte, Scheidungen und unehelichen Kinder, welche die Suche nach Erben erforderlich machen, wie auch das Heilbronner Erbenermittlungsinstitut Hoerner-Bank feststellt. Dennoch lohnt es sich kaum, auf Post vom Erbenermittler zu warten. Zwar müssen Jahr für Jahr tausende von Erb- und Vermögensnachfolgen ermittelt werden. Doch die Chance, ein hübsches Sümmchen von der bis dahin unbekannten Großtante aus Amerika zu erben, ist ebenso gering wie ein Sechser im Lotto..

Der ganze Bericht aus dem Merkur Journal 2008 als Download:

Quelle: Merkur Journal 26./27.April 2008 Autor: Christine Waldhauser-Künlen